Der freche Mensch.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 07.02.1900,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 23.02.1900


Der Contre war zu Ende — mit der üblichen grande confusion natürlich. Es giebt nämlich gebildete und sonst gut begabte Menschen, welche gegebenenfalls den feinen Unterschied von rechts nach links erst nach einer Reihe von Mißgriffen erfassen. Tritt diese eigenthümliche Erscheinung in der Form von Zerstreutheit auf, so mag's hingehen, beruht sie auf Eigensinn, so ist das schon schlimmer; als durchaus verwerflich aber muß es betrachtet werden, wenn ihr offenbare Böswilligkeit zu Grunde liegt.

Und das war hier der Fall.

Käthe von Tölldorf war so wüthend auf ihren Partner, daß sie ihn hätte prügeln mögen — er war an dem ganzen Klumpatsch schuld; er allein. Welche Mühe hatte sie sich mit ihm gegeben die ganzen Touren hindurch! Alle Augenblicke kam er ihr abhanden — und sie hatte ihn ordentlich greifen müssen, wenn er beim Balancez sich aufs Chassiren versteifte. Und bei alledem lachte der Mensch, daß ihm das helle Wasser in den Augen stand.

Als sie sich aus dem allgemeinen Wirrsal, welcher den händeringenden Contre-Commandeur umtobte, wiedergefunden, würdigte sie den vergnügten Unhold keines Blickes. Auch seinen Arm übersah sie; und als er ihr auf ihrem Platze den Fächer reichte, nahm sie ihm denselben so energisch ab, daß er die Quaste in der Hand behielt.

„Oh — das wunderhübsche Bommelchen,” lachte er bedauernd und ließ sich so selbst­verständlich neben Käthe nieder, als wenn sie mindestens verlobt mit einander wären. Die Quaste ließ er geschickt in seinem Handschuh verschwinden.

Käthe hatte das bemerkt, und obwohl sie noch Sturm fächelte, überkam sie mit einem leichten Erröthen auch eine bedingte Neigung zur Versöhnlichkeit. Auch fühlte sie, daß sie wohl zu weit gegangen war in ihrem Zorn.

„Können Sie denn überhaupt Contre tanzen?” fragte sie, noch halb über die Schulter hinweg.

„Contre? Nein, mein gnädiges Fräulein, nicht die Spur. War denn das eben Contre?”

„Aber — mein Herr — —”

„So, so, also wirklich Contre. Ich dachte, es wäre Quadrille gewesen. Aber sie haben recht, ganz recht. Ich entsinne mich jetzt: Bei der Quadrille hupfen immer nur vier Paare gegeneinander an.”

Seine lustigen blauen Augen schauten dabei so treuherzig drein, daß die Annahme einer bewußten Unart vollständig ausgeschlossen schien.

Fräulein von Tölldorfs reizendes Gesichtchen verschwand einen Moment hinter ihrem Fächer.

„Also Quadrille tanzen Sie?”

„Quadrille auch nicht. Nein. Eigentlich kann ich überhaupt nicht tanzen.”

„Das ist aber stark, wissen Sie — und da fordern Sie mich auf — —”

„Ja,” erwiderte der junge Mann, indem er seinen blonden Schnurrbart durch die Finger zog und lebhaft mit dem Kopfe nickte; „ich dachte mir, es würde gehen. Es wird einem ja immer gesagt, was man zu thun hat: en avant, à main gauche, à droit und so weiter. Das ist doch sehr einfach. Na, und es ging doch auch schon ganz nett fürs erste Mal.”

„Sehr nett,” bestätigte Käthe und lachte dabei so laut auf, daß die nächstsitzende Wandfront von Ballmüttern ein Lorgnon war. „Namentlich das gauche und droit, das haben Sie einzig raus!”

„Nicht wahr? Nur zuletzt, glaube ich, habe ich mich ein bischen verheddert. Das war aber nicht meine Schuld.”

„Nicht Ihre Schuld? Wessen denn sonst —”

„Die Ihrige, mein gnädiges Fräulein. Sie hatten etwas verloren. Ich nahm es auf — und mußte lachen. Da habe ich dann nicht mehr recht aufgepaßt.”

Käthe von Tölldorf erröthete bis unter die braunen Stirnlöckchen und tastete verlegen an ihrem Kleide herum. Junge Damen lösen sich überhaupt immer halb auf vor Entsetzen, wenn man ihnen sagt, daß sie Etwas verloren hätten — und nun gar Etwas, worüber man lachen muß.

„Hier, Gnädigste — Ihre Tanzkarte.”

„Allmächtiger — —” hauchte sie fassungslos vor sich hin und senkte das Köpfchen in so tödtlicher Verlegenheit, daß er sich schleunigst bemühte, dieses niederschmetternde Wieder­sehen mit dem verlorenen Stückchen Carton abzuschwächen.

„Lassen Sie sich das um Himmels willen nicht anfechten, mein gnädiges Fräulein. Wenn sich Jemand vorstellt, so klingt das immer wie „Rhabarber” und in den meisten Fällen versteht man „Meyer”. Und ehe Sie „Meyer” geschrieben hätten, da ist mir der — nun ja — „der freche Mensch” schon lieber. Unbedingt.”

Das junge Mädchen hatte sich inzwischen gefaßt — nur die brennende Röthe wollte noch nicht von ihrem Gesichtchen weichen. Wegen der unfreundlichen Personalnotiz um Entschuldigung bitten, das hätte, wie sie sich sagte, die gräßliche Geschichte noch „verdümmert”. Also ging sie aufs Ganze.

Wenn sie es auch nicht verhindern konnte, daß ihre Mundwinkel zuckten und ein leichter feuchter Schimmer ihr in die Augen stieg, so warf sie doch das Köpfchen auf und sagte:

„Sie, Sie fügen eben zu Allem noch die Indiskretion, Herr — — —”

„Meyer ist mein Name, gnädiges Fräulein, Kurt Helmuth Meyer — mit 'n Ypsilon, wenn ich bitten darf.”

„Aber Sie sagten doch eben —”

„Pardon, ich gab nur zu erkennen, daß ich für meinen Namen keine Vorliebe habe.”

Ihr war zu Muth, als wenn sie nach diesem entsetzlichen Menschen schlagen müßte. Sie bohrte den geschlossenen Fächer in ihre innere Hand, so daß er fast den Handschuh sprengte.

„So —” stotterte sie empört, „auch das noch! Erstens Mal stellen Sie sich mir selbst vor, was in unseren Kreisen durchaus unschicklich ist. Dann engagiren Sie mich zum Contre, ohne eine blasse Ahnung zu haben — —”

„Bitte, nicht so viel auf einmal, meine Gnädige; ich kann nicht folgen,” bemerkte er eifrig und mit einem Gesicht, als würde er vor Gericht unter Eid vernommen. „Wer sollte mich hier wohl vorstellen?”

„Wenn sonst Niemand, dann Derjenige, der Sie hier eingeführt oder eingeladen hat.”

„Aber ich bin ja gar nicht eingeladen.”

„Herr —”

„Factisch. Ich bin hier absolut fremd und kenne keine Seele.”

„Na hören Sie mal, das — das ist denn doch ein bischen — —”

„Frech, ganz richtig, mein gnädiges Fräulein. Aber was sollte ich machen. Und — es hat ja jetzt auch keine Gefahr mehr. Man glaubt allgemein, daß ich zu Ihnen gehöre. Im Grunde ist's ja auch so —”

Käthe v. Tölldorf erhob sich und heftete ihre zornsprühenden Augen auf diesen unerhörten Menschen, der hier eingedrungen zu sein schien, bloß um sich ihr mit dem harmlosesten und — zugleich auch hübschesten — Gesicht von der Welt unausstehlich zu machen. Das hatte sie davon, daß sie nur mit ganz losem Familienanschluß, ohne ihren Papa, der auf einer Geschäftsreise war und nachlommen wollte, den Ball der kaufmännischen Concordia besucht hatte.

„Ich bitte Sie, mich zu verlassen, mein Herr!”

Auch der junge Mann erhob sich nun und erwiderte treuherzig:

„Wie Sie befehlen — aber das wird nichts nützen. Vielleicht auch zürnen Sie mir weniger, wenn ich erst mit Ihrem Herrn Vater gesprochen haben werde —”

„Mit Papa —?” Käthe stand das Herz still. Der Mensch wollte die Unverfrorenheit haben — — —

„Das werden Sie nicht thun, mein Herr,” stotterte sie mit fliegendem Athem — aber sie mußte die Augen senken vor dem sonnigen Blicke, mit dem er sie umfaßte. „Ich — ich habe Ihnen kein Recht dazu gegeben,” fügte sie fast weinend hinzu.

Kurt Helmuth Meyer zog discret die Achseln hoch und sagte innig, aber bestimmt:

„Und dennoch muß es sein. Es hängt Ihr Lebensglück davon ab —”

Das war zu viel! Mit einem leisen Aufschrei der Empörung stampfte Käthe mit dem Füßchen auf und wandte dem frechen Menschen den Rücken.

In der Thür zu den Garderobenräumen stieß sie auf ihren Vater.

„Da bist Du ja schon, mein Kind.” sagte der Chef der berühmten Caffee-Firma von Tölldorf Sohn, indem er merklich zerstreut die Stirn seines Töchterchens mit den Lippen berührte. Fast in demselben Moment nahmen seine Züge den Ausdruck nervöser Spannung an. Er eilte auf Kurt Helmuth Meyer zu, seinen Hamburger Vertreter, der sich ihm mit artiger Verbeugung näherte.

„Ich fand eben Ihre Karte zu Hause vor — Sie selbst da — um Himmelswillen, was ist geschehen!!”

„Nichts, Herr von Tölldorf,” erwiderte der junge Mann lächelnd, indem er ein Papier aus der Tasche zog, „sobald Sie diesen Schlußschein vollzogen haben werden, haben Sie rund 240 000 Mark gespart.”

Herr von Tölldorf warf einen Blick auf das Papier und sank schwer athmend auf einen Sessel. Helle Tropfen perlten auf seiner Stirn.

„Gerettet — — und — durch Sie, mein junger Freund. Wie soll ich Ihnen danken!!”

„Indem Sie mich jetzt beurlauben, damit ich dem Oberkellner im „Deutschen Hause” den gepumpten Frack wieder abliefern kann — und wenn Sie noch ein Uebriges thun wollen, so legen Sie ein gutes Wort bei Ihrem Fräulein Tochter für mich ein; — sie ist sehr böse auf mich.”

*           *           *

Eine Stunde später saßen drei glückliche Menschen in einer gemüthlichen Restaurationsecke des „Deutschen Hauses” — und zwei Stunden später war es so gut wie abgemacht, daß Kurt Helmuth Meyer, mit 'n Ypsilon bitte, an seinem Namen in Kürze nur noch zur Hälfte tragen würde.

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